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Experiment zum Grundeinkommen: Werden wir hinterher klüger sein?

Standpunkt, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.08.2020

Norma­ler­wei­se wird die Ankün­di­gung eines Forschungs­pro­jek­tes von der Öffent­lich­keit nicht weiter beach­tet. Dies­mal ist es anders, das Pres­se­echo ist groß. Der Verein „Mein Grund­ein­kom­men“ ermög­licht über Spen­den aus einem großen Kreis von Unter­stüt­zern einen Modell­ver­such, den das Deut­sche Insti­tut für Wirt­schafts­for­schung wissen­schaft­lich beglei­ten wird. Drei Jahre lang werden 120 aus den Bewer­bern zufäl­lig ausge­wähl­te Menschen ein bedin­gungs­lo­ses Grund­ein­kom­men von 1200 Euro im Monat erhal­ten. Sie werden regel­mä­ßig befragt werden, wie auch eine größe­re Kontroll­grup­pe, die kein Grund­ein­kom­men erhält.

Man betre­te damit wissen­schaft­li­ches Neuland, so der wissen­schaft­li­che Leiter der Begleit­for­schung, Jürgen Schupp. „Wir möch­ten heraus­fin­den, ob ein bedin­gungs­los ausge­zahl­ter Geld­be­trag über den Zeit­raum von drei Jahren zu statis­tisch signi­fi­kan­ten Verän­de­run­gen im Handeln und Empfin­den führt.“

Vermut­lich wird dies so sein. Monat­lich 1200 Euro für drei Jahre entspricht einem Geld­ge­schenk von 43200 Euro. Manche werden ein Studi­um aufneh­men, von dem sie schon lange geträumt haben. Andere werden sich mehr Zeit für die Fami­lie gönnen, solan­ge die Kinder klein sind. Viele werden schlicht genau so weiter­ar­bei­ten wie bisher, weil sie damit zufrie­den sind und zudem wegen einer drei­jäh­ri­gen Einkom­mens­sprit­ze nicht ihre beruf­li­chen Ambi­tio­nen aufge­ben. Aber sie freuen sich über das Vermö­gens­pols­ter, das sie in der Zeit aufbau­en können.

Allein­er­zie­hen­de, die nur in Teil­zeit arbei­ten können, werden durch­at­men, da sie drei entschei­den­de Jahre ohne finan­zi­el­le Sorgen verbrin­gen können. Hartz-IV-Empfän­ger werden mit größe­rer Moti­va­ti­on eine Arbeit aufneh­men, weil ihnen, da ihr Einkom­men für drei Jahre bedin­gungs­los ist, nicht das meiste ihres Verdiens­tes über den Trans­fe­r­ent­zug wieder verlo­ren­geht. Die Studie wird Erkennt­nis­se brin­gen, die man dem bei weitem schlech­tes­ten Argu­ment gegen das bedin­gungs­lo­se Grund­ein­kom­men entge­gen­set­zen kann: Alle würden sich dann auf die faule Haut legen und aufhö­ren zu arbei­ten. Dies werden wohl die wenigs­ten tun.

Aber sind wir, wenn wir dies wissen und nicht nur vermu­ten, wirk­lich besser gewapp­net, um zu entschei­den, ob ein Grund­ein­kom­men für alle einge­führt werden kann? Sollte es je Wirk­lich­keit werden, so muss es finan­ziert werden. Der Verein „Mein Grund­ein­kom­men“ fordert eine bedin­gungs­lo­se Zahlung an alle Bürger und will zugleich den heuti­gen Sozi­al­staat erhal­ten. Er setzt sich sehr eindeu­tig von dem Vorschlag des Hambur­ger Ökono­men Thomas Straub­haar ab, durch ein Grund­ein­kom­men den Sozi­al­staat heuti­ger Prägung zu erset­zen.

Sozi­al­staat plus Grund­ein­kom­men ginge nur mit sehr hohen Steu­ern, wenn es denn über­haupt ginge. Die Steu­ern müss­ten vom ersten Euro an auf alle wirt­schaft­li­chen Akti­vi­tä­ten erho­ben werden. Ein Grund­ein­kom­men von 1200 Euro liegt deut­lich ober­halb der Werte, die bei bishe­ri­gen Abschät­zun­gen der Steu­er­be­las­tung, die ein Grund­ein­kom­men erfor­der­te, ange­nom­men wurden. Wie würde sich ein einheit­li­cher Steu­er­satz von beispiels­wei­se 60 Prozent – der obere Wert der bishe­ri­gen Abschät­zun­gen – oder eine noch höhere Besteue­rung auf das Arbeits­an­ge­bots­ver­hal­ten auswir­ken?

Auch wenn viele Menschen zwar weiter­ar­bei­ten, aber ihr Arbeits­vo­lu­men redu­zie­ren, redu­ziert dies die zu versteu­ern­den Einkom­men wie auch das Fach­kräf­te­an­ge­bot. Schwarz­ar­beit nähme vermut­lich zu. Viele Menschen werden, um die hohen Belas­tun­gen zu vermei­den, mehr Güter und Diens­te in Eigen­ar­beit erstel­len. Befür­wor­ter des Grund­ein­kom­mens mögen darin einen begrü­ßens­wer­ten Schritt weg von der Arbeits-, hin zu einer Tätig­keits­ge­sell­schaft sehen. Aber die Flucht in die Autar­kie redu­ziert die Steu­er­ba­sis und zudem die Chan­cen von Menschen mit gerin­gen Quali­fi­ka­tio­nen, ihr Grund­ein­kom­men durch Erwerbs­ar­beit aufzu­sto­cken, und verfes­tigt damit ihren gesell­schaft­li­chen Ausschluss. Schlie­ß­lich kann man das am leich­tes­ten selbst herstel­len, wozu man keine beson­de­ren Quali­fi­ka­tio­nen benö­tigt. Ein gewis­ser Teil der frei­be­ruf­lich Täti­gen dürfte die Frei­zü­gig­keit in Europa nutzen, um den hohen Steu­ern zu entkom­men. Viele Dienst­leis­tun­gen kann man auch anbie­ten, wenn der Wohn­sitz (offi­zi­ell) jenseits der Grenze liegt.

Je umfang­rei­cher diese und andere Ausweich­re­ak­tio­nen genutzt werden, desto höher muss die Besteue­rung der weiter­hin steu­er­lich erfass­ten Wert­schöp­fung ausfal­len. Irgend­wann über­schrei­tet man mit stark stei­gen­den Belas­tun­gen auch verfas­sungs­recht­li­che Gren­zen. Auch wenn diese nicht eindeu­tig bestimmt sind, darf die Besteue­rung keine konfis­ka­to­ri­sche Wirkung haben. Das gebie­tet auch die ökono­mi­sche Vernunft.

Diese Proble­me kann der nun star­ten­de Praxis­test nicht erfor­schen. Denn das Grund­ein­kom­men wird geschenkt, ohne dass bei ande­ren eine Belas­tung anfällt, außer bei Spen­dern, die dies frei­wil­lig tun. Nichts muss an ande­rer Stelle ange­passt werden, Sozi­al­leis­tun­gen und Steu­ern blei­ben unver­än­dert. In einem Test mit 120 glück­li­chen Gewin­nern geht das. Bei einem Grund­ein­kom­men für alle ginge dies nur, wenn es ein höhe­res Wesen gäbe, das uns jedes Jahr etwa 1000 Milli­ar­den Euro schenk­te. Wirk­lich erpro­ben kann man das bedin­gungs­lo­se Grund­ein­kom­men nur im gesell­schaft­li­chen Groß­ver­such, mit den entspre­chen­den Risi­ken.